Autor*innen: Melanie Basten, Nadine Großmann, Inga Desch, Natalia Hofferber, Cornelia Stiller & Matthias Wilde
Abstract
Im Biologieunterricht gibt es Motivationsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen, denn Biologie gilt als Mädchendomäne (Hannover & Kessels, 2002). Jungen nehmen in der Schule weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten wahr und fühlen sich weniger selbstbestimmt als Mädchen (Budde, 2008). Während Mädchen Regeln eher akzeptieren und befolgen, haben Jungen das Bestreben, autonom und dominant zu sein (Flaake, 2006; Guggenbühl, 2008; Palm, 2012). Das Bedürfnis nach Autonomie gemäß der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Ryan & Deci, 2017) zu erfüllen, könnte daher helfen, die Geschlechterunterschiede auszugleichen. Als universelles psychologisches Grundbedürfnis streben alle Menschen nach Autonomie. Aus diesem Grund wurden in zwei Studien autonomieförderliche und kontrollierende Maßnahmen gegeneinander getestet und untersucht, ob sich die Genderunterschiede durch Autonomieförderung verringern.
In Studie 1 wurden 294 Schülerinnen und Schüler (SuS) (Alter: M = 11,4; SD = 0,98; 53 % Mädchen) drei oder vier Stunden unterrichtet. Die SuS der EG durften vorab über Thema und Methoden abstimmen, die SuS der KG erhielten den gleichen Unterricht ohne vorherige Wahl. Anschließend wurden die SuS zu ihrer Wahrnehmung des Unterrichts hinsichtlich konstruktivistischer Merkmale (Urhahne et al., 2011) befragt. Während Mädchen der KG grundsätzlich höhere Werte in ihrer Unterrichtswahrnehmung aufwiesen als die Jungen (aktiv: MMädchen=3,03; MJungen=2,87; F(1;162) = 1.596; p = ns; ηp2 = .010; selbstgesteuert: MMädchen=2,33; MJungen=2,28; F(1;161) = .118; p = ns; ηp2 = .001; konstruktiv: MMädchen=2,87; MJungen=2,64; F(1;161) = 3.039; p < .1; ηp2 = .019; emotional: MMädchen=3,01; MJungen=2,70; F(1;162) = 7.345; p < .01; ηp2 = .043; situiert: MMädchen=2,88; MJungen=2,54; F(1;162) = 5.738; p < .05; ηp2 = .034; sozial: MMädchen=2,76; MJungen=2,46; F(1;161) = 7.518; p < .01; ηp2 = .045), waren diese Unterschiede in der EG deutlich geringer (aktiv: MMädchen=3,24; MJungen=3,21; F(1;125) = .062; p = ns; ηp2 = .000; selbstgesteuert: MMädchen=2,87; MJungen=2,52; F(1;125) = 5.508; p < .05; ηp2 = .042; konstruktiv: MMädchen=3,15; MJungen=3,08; F(1;126) = .257; p = ns; ηp2 = .002; emotional: MMädchen=3,30; MJungen=3,07; F(1;124) = 2.904; p < .1; ηp2 = .023; situiert: MMädchen=3,13; MJungen=2,88; F(1;125) = 2.777; p < .1; ηp2 = .022; sozial: MMädchen=2,82; MJungen=2,68; F(1;125) = 1.177; p = ns; ηp2 = .009). Mädchen und Jungen profitierten beide von der Schülerwahl, Jungen jedoch etwas mehr. Da Jungen weniger Themen in der Biologie interessant finden als Mädchen (Dietze et al., 2005), war die Wahl für sie vermutlich von besonders hoher Bedeutung.
In Studie 2 wurden 303 SuS (Alter: M = 11,3; SD = 0,6; 52 % Mädchen) drei Stunden zu demselben Thema unterrichtet. In der EG zeigten die Lehrkräfte autonomieförderliches Verhalten, in der KG kontrollierendes Verhalten. Autonomieförderliches Verhalten beinhaltete Wahlmöglichkeiten (bspw. Gruppenzusammensetzung), Erläuterung der Relevanz der Thematik, autonomieförderliche Sprache (ohne (Zeit)druck und Selbstbestimmung unterstützend) sowie informatives Feedback (Reeve, 2002; Su & Reeve, 2011). Anschließend wurden die SuS zu ihrer intrinsischen Motivation (Wilde et al., 2009) und zum Flow-Erleben (Rheinberg et al., 2003) befragt. Während Mädchen unter den kontrollierenden Bedingungen höhere Werte in der intrinsischem Motivation und Flow-Erleben aufwiesen als Jungen (Interesse/Vergnügen: MMädchen=3,46; MJungen=3,16; Flow: MMädchen=2,90; MJungen=2,56), glichen sich diese Unterschiede unter autonomieförderlichen Bedingungen an (Interesse/Vergnügen: MMädchen=3,63; MJungen=3,66; Interaktion Treatment x Gender: F(1;301) = 4.48, p < .05, ηp2=.015; Flow: MMädchen=2,98; MJungen=2,95; Interaktion Treatment x Gender: F(1;301) = 5.56, p < .05, ηp2=.018). Mädchen und Jungen erleben beide höhere Motivation, wenn die Lehrkraft autonomieförderlich agiert, bei Jungen ist der Effekt jedoch besonders hoch. Da Mädchen Regeln besser akzeptieren können, empfinden sie das kontrollierende Lehrerverhalten möglicherweise weniger als Einschränkung und Zwang als Jungen (vgl. Assor et al., 2005).
Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass sich Autonomieförderung positiv auf motivationale Variablen bei Jungen und Mädchen sowie ausgleichend auf Genderunterschiede im Biologieunterricht auswirkt.
*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.