Abstract
Ausgangslage
In Fächerverbünden können Lehrkräfte nicht vollumfänglich ausgebildet werden. Es herrscht ein Fachlehrermangel in den Bundesländern, in denen Gesellschaftslehre anstelle der Einzelfächer Geografie, Geschichte und Politik unterrichtet wird (Grieger, i. E.; Grieger & Oberle, 2020). Der Unterricht erfolgt somit größtenteils fachfremd. Dies kann negative Konsequenzen für die Kompetenzerwartungen der Lehrkräfte haben (Flores, Desjean-Perrotta & Steinmetz, 2004, S. 43; z. B. Porsch & Wendt, 2015, S. 168–170).
Theoretischer Hintergrund
Selbstwirksamkeitserwartungen beschreiben „die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können” (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 35). Lehrkräfte in Gesellschaftslehre haben mit fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Defiziten zu kämpfen haben (Grieger, 2020). Sind sie von ihren Fähigkeiten nicht überzeugt, lassen sie u. a. weniger Meinungspluralität im Unterricht zu (Hagenauer & Hascher, 2018, S. 159). Für die politische Bildung als Teil von Gesellschaftslehre ist dieser Umstand vor dem Hintergrund des Beutelsbacher Konsenses problematisch. Ebenfalls gibt es Anhaltspunkte dafür, dass das politische Wissen der Schüler*innen im fachfremden Unterricht geringer ausfällt (Savage, 2019, S. 70). Politisches Wissen steht wiederum mit der Bereitschaft zur politischen Partizipation in Verbindung (z. B. Braun & Tausendpfund, 2019, S. 221–222; Johann, 2011, S. 386–389).
Fragestellung
Die Entwicklung des Erhebungsinstruments fachdidaktischer Selbstwirksamkeitserwartungen angehender Gesellschaftslehre-Lehrkräfte (EINFACHSWAG) war das Ziel der Promotion. Forschungsleitende Fragestellungen waren:
F1: Welche Beziehungen können zwischen den Faktoren festgestellt werden?
F2: Wie hängen die Selbstwirksamkeitserwartungen mit den Validierungsinstrumenten und dem subjektiven Fachwissen zusammen?
F3: Über welche Selbstwirksamkeitserwartungen verfügen (angehende) Lehrkräfte der beteiligten Studienfächer?
F4: Welche Einflussfaktoren lassen sich identifizieren?
F5: Welche Unterschiede existieren nach Geschlecht, Studienfach oder Ausbildungsabschnitt?
Methodisches Vorgehen
Der Haupterhebung (PAPI/Online; n = 447) gingen eine quantitative Vorstudie (PAPI; n = 112), eine qualitative Vorstudie (n = 6) mit der think-aloud-Methode sowie eine Validierungsstudie durch Lehrkräfte (Online; n = 18) voraus. Das Messinstrument basiert auf dem fachdidaktischen Modell von Park und Chen (2012). Hinzu kommen Fragen zum subjektiven Fachwissen (Niedersächsisches Kultusministerium, 2014) sowie Validierungsinstrumente (Schulte, Watermann & Bögeholz, 2011; Schwarzer & Jerusalem, 1999). Die quantitative Haupt- und Vorstudie fokussieren auf Faktorenanalysen, Strukturgleichungsmodellierungen und Mittelwertsvergleichen. Umfangreiche Voraussetzungsprüfungen (z. B. Messinvarianz) wurden vorangestellt.
Ergebnisse
F1: Die Datenpassung auf das modellierte EINFACHSWAG konnte in der Vorstudie (VS) mit gutem Fit exploriert (KMO = .737; Bartlett = p < .001; h² = .674; λ = .300–.850) und in der Hauptstudie (HS) konfirmatorisch abgesichert werden (x² = 3821.210; p < .001; df = 2298; x²/df = 1.663; RMSEA = .039; 90 % C.I. = .037–.042; CFI = .949; TLI = .947). Die 13 fachdidaktischen Faktoren korrelieren miteinander (p < .001; r = .395–.766).
F2: In der HS besteht ein Zusammenhang zum Validierungsinstrument allgemeiner Selbstwirksamkeit (p < .001, r = .261). Konvergente Validität wird durch das lehrkräftespezifische Messinstrument angenommen (p < .001, r = .631). Die drei Faktoren subjektiven Fachwissens hängen mit den mehrheitlich dieser Fachrichtung zuzuordnenden fachdidaktischen Herausforderungen zusammen.
F3: Männer verfügen über höheres subjektives Fachwissen in Geografie, Geschichte und Politik. Die fachdidaktischen Selbstwirksamkeitserwartungen sind überdurchschnittlich ausgeprägt.
F4: Subjektives Fachwissen und das Studienfach haben in der VS und HS den größten Einfluss auf die korrespondierenden fachdidaktischen Faktoren. Teilweise ist ein Einfluss des vorgeschrittenen Ausbildungsstatus und der Zeugnisnoten zu finden. Die erklärte Varianz liegt in der multiplen Regression der VS zwischen 40%–60 %, im Strukturgleichungsmodell der HS zwischen 53%–59 %.
F5: Nur bei einem der 13 Faktoren schätzen sich die Frauen in VS (d = .53) und HS (d = .19) besser ein. Wer ein Fach studiert (z. B. Politik) empfindet in VS und HS höhere Selbstwirksamkeit in Bezug auf die mehrheitlich dieser Fachrichtung zuzuordnenden fachdidaktischen Herausforderungen. Referendar*innen (VS) bzw. Lehrkräfte (HS) haben im Vergleich zu Master- und Bachelorstudierenden höhere Selbstwirksamkeitserwartungen.
*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.