Über Beratung Partizipation erreichen?! Zur Diskrepanz zwischen Bedarf und Nutzung von Beratung im Hochschulkontext*

 

Autor*innen: Franziska Schulze-Stocker & Pauline Dunkel

Abstract

Theoretischer Hintergrund
Partizipation und Beratung fokussieren den Umgang mit Entscheidungsprozessen. Partizipation soll eine Beteiligung an diesen, Beratung eine Unterstützung zur Konkretisierung der Handlungsmöglichkeiten bewirken. Partizipation der zu Beratenden spielt an der Hochschule eine wichtige Rolle. Denn dort geht es, neben dem Aufzeigen von Alternativen, um die Erarbeitung individueller Lösungsstrategien für individuell gelabelte Problemlagen (Partizipation an Beratung). Beratung kann auch als Werkzeug im Kontext von Partizipation fungieren, indem sie Teilhabe an Bildung (konkret am Studium, Bildungsweg) ermöglicht (Beratung zur Partizipation).

Die wechselseitige Bedingtheit von Heterogenität und Individualisierung der Studierenden, die mit einer zunehmenden Entscheidungsfreiheit einhergeht, trägt zum wachsenden Bedarf an Beratung an Hochschulen bei (Heublein et al., 2017). Denn diese Freiheit impliziert gleichzeitig einen Entscheidungszwang (Beck, 2015). Aus Perspektive der Hochschulen wird Beratung im Kontext steigender Studienabbruchszahlen als Präventionsmaßnahme relevant (vgl. Berthold et al., 2015). Studienabbruch ist ein Prozess, der von zahlreichen interdependenten Faktoren beeinflusst ist (Blüthmann et al., 2008; Hanft et al., 2013; Heublein & Wolter, 2011). Es gibt unterschiedliche Maßnahmen der Studierenden, mit Problemen im Studium umzugehen (Schulze-Stocker et al., 2019). Trotz steigenden Bedarfs werden die institutionalisierten Beratungsangebote an Hochschulen (z.B. Zentrale Studienberatung, Studienfachberatung) wenig genutzt (Heublein et al., 2017). Die Zurückführung der Problemlagen auf individuelle anstatt strukturelle Verantwortung hängt mit einem institutionellen Beratungssetting zusammen (Schützeichel & Brüsemeister, 2004). Dies kann hemmen, Beratung zu nutzen. Zudem ist das Eingestehen von Problemen im Studium oft stigmabehaftet (Dunkel & Schulze-Stocker, eingereicht; Heublein et al. 2017).

Fragestellung
Im geplanten Vortrag wird der Frage nachgegangen, warum Studierende an institutionellen Beratungsangeboten kaum teilnehmen, obwohl der Beratungsbedarf wächst. Zunächst wird die Beratungskonzeption als Partizipationsmöglichkeit anhand der Daten überprüft. Anschließend werden die Gründe der hochschulinternen Beratung untersucht, die zu der Diskrepanz führen. Wenn Beratung Partizipation ermöglicht, wodurch wird diese dann verhindert?

Methode & Kontext
Einen besonderen Weg der Konzeption von Studienberatungsangeboten verfolgt das Studienerfolgsprojekt Partnerschaft · Studienerfolg · TU Dresden (PASST?!), welches über verschiedene Zugänge die Nachhaltigkeit und Passung zwischen der Person, der Beratung und der Entscheidung fokussiert:

(1) Identifizierung von abbruchgefährdeten Studierenden mittels Studierenden-monitoring durch fünf Studienverlaufsmerkmale,
(2) Beratungs- und Unterstützungsangebote,
(3) Bereitstellung zentraler Informationen zur Identifizierung und Beratung durch projektinterne Forschungs- und Evaluationsvorhaben.

In der PASST?!-Forschung wurden 17 leitfadengestützte Interviews mit am Studium zweifelnden Studierenden der TU Dresden durchgeführt, die die Datengrundlage für den Vortrag darstellen. Dieses Material wurde im ersten Schritt (Grobanalyse) thematisch kodiert (Flick, 2011). Im zweiten Schritt (Feinanalyse) wurden relevante Sequenzen bezogen auf die Forschungsfrage positionierungstheoretisch (Harré & van Langenhove, 1999) ausgewertet. Dieses Vorgehen eignete sich, um Implizites zu explizieren und zugrundeliegende Strukturen zu identifizieren.

Ergebnisse
Dass institutionelle Beratung an Hochschulen als Partizipationsermöglichung im Hinblick auf die Teilhabe an Bildung bzw. die aktive Gestaltung des eigenen Bildungsweges fungieren kann, zeigen Berichte der Interviewten, die Beratungsangebote nutzten. Gründe, die den Gang zur Beratung trotz bestehender Problemlagen verhindern, sind der Mangel an Informationen über universitäre Beratungsangebote (Welche Angebote gibt es überhaupt? Wie sind diese konkret gestaltet? Inwiefern können diese hilfreich sein?) und eine Stigmatisierung von Problemlagen im Studium oder dem sich-Hilfe-Suchen. Das Aufsuchen von Beratung wird zudem mit dem Eingeständnis „schwerwiegender Probleme“ verbunden und scheint erst bei Vorhandensein dieser legitim. Diejenigen, die Beratung nutzen wollen, werden als nicht befähigt positioniert, Probleme selbstständig und eigenverantwortlich zu bewältigen. Implizit wird die Rolle der Beratungssuchenden als passiver Part konstruiert, die Rolle der Beratenden als aktiver.

Insgesamt thematisieren die Interviewten das „Bild von Beratung“ in zweifacher Weise:
1) Negativkonnotation der Nutzung institutioneller Beratungsangebote (Form).
2) Positionierung der Beratungsstellen als z.T. nicht befähigt, konstruktiv im Zusammenhang mit den eigenen Problemlagen agieren zu können (Inhalt)
In der weiteren Analyse werden die verschiedenen Bilder von Beratung konkretisiert und kategorisiert, um Handlungsempfehlungen für Beratungsinstitutionen abzuleiten (Wissenstransfer).

*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.