Autor*innen: Mishela Ivanova, Andreas Bach, Gerda Hagenauer, Daniela Martinek, Franz Hofmann & Matteo Carmignola
Abstract
Schulpraktika sollen zur Entwicklung der professionellen Kompetenzen von Lehramtsstudierenden beitragen und sie für die zukünftigen beruflichen Anforderungen vorbereiten. Vor diesem Hintergrund versucht die Lehrer*innenbildungsforschung günstige Nutzungsmerkmale auf Seiten der Studierenden und förderliche Praktikumsmerkmale auf Seiten der Praktikumsbegleitung und Lehrer*innenbildung zu identifizieren, die sich positiv auf die Professionalisierung der angehenden Lehrpersonen auswirken (Bach, 2013, 2020). Lehrer*innen-Kompetenz wird dabei multidimensional gedacht (Baumert & Kunter, 2006). Zentrale Facetten sind das Fachwissen, das fachdidaktische Wissen, das pädagogische Wissen, die epistemologischen Überzeugungen, die selbstbezogenen Kognitionen sowie die Emotionen, die Motivation und die Selbstregulation der Lehrpersonen.
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verlaufen Schulpraktika in vielen europäischen Ländern und so auch in Österreich, sofern sie überhaupt stattfinden können, unter veränderten Bedingungen. An vielen Schulstandorten konnten viele Monate keine Präsenzpraktika stattfinden. Die Schulen wiederum nutzten die Möglichkeiten eines ‚Online-Unterrichts‘ in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Intensität.
Diese veränderten Bedingungen lassen nur vereinzelt Anknüpfungen an frühere Erkenntnisse der Praktikumsforschung zu und konfrontieren die Lehrer*innenbildner*innen mit bisher unbekannten Herausforderungen. Es ist jedoch anzunehmen, dass unter diesen veränderten Bedingungen auch neue Konzepte und Formate für die Durchführung von Online-Praktika entstehen und sich mehr oder weniger gut in der Praxis bewähren.
Im Rahmen einer offenen Befragung an einer österreichischen Universität im Wintersemester 2020/21 wurden diese neuen Konzepte und Formate in den Blick genommen. Es wurde untersucht, welche Praktikumsformate unter den Bedingungen des Fernunterrichts angewendet wurden, wie die Lehramtsstudierenden die Praktika unter diesen veränderten Bedingungen bewerten, über welche Lernerfahrungen sie berichten und inwiefern sie ihr Berufsverständnis und ihre Berufsvorstellungen bestätigt oder verändert sehen.
Die Befragung wurde digital durchgeführt. Befragt wurden Bachelor-Studierende für das Lehramt Sekundarstufe, die im Wintersemester 20/21 ihr zweites verpflichtendes Unterrichtspraktikum absolvierten (N=215). Aus den Texten, die dabei gewonnen wurden, wurden im Sinne der oben angeführten Fragestellungen Kategorien nach dem Prinzip der „induktiven Kategorienbildung“ (Mayring, 2008, S. 74 ff.) gebildet, die als Basis für eine dichotome Codierung aller Texte und für die darauffolgende statistische Analyse dienten.
Zum Datum der Einreichung wird die Datenanalyse durchgeführt. Die Intercoderreliabilität wird nach der Finalisierung des Kategoriensystems berechnet. Die ersten Ergebnisse zeigen auf, dass Studierenden unterschiedliche Formate im Online-Praktikum zur Verfügung standen, die von einer Gestaltung von Lernmaterial, über Einzelbetreuungen von Lernernenden bis hin zu Online-Unterricht in der Gesamtklasse reichten. Etliche der Studierenden identifizierten viele unterschiedliche und auch „neue“ Lerngelegenheiten im Praktikum; es gab jedoch einige Studierende, die diese Form des Praktikums als nicht lernwirksam einstuften. Besonders positiv bewerteten die Studierenden darüber hinaus im Online-Praktikum, die Möglichkeit, direkt mit Schüler*innen arbeiten zu können, während Formate, die sich ausschließlich auf die Gestaltung von Lernmaterialien bezogen, als weniger lernwirksam eingestuft wurden. An den Berufsvorstellungen – insbesondere an der Überzeugung, den passenden Beruf gewählt zu haben – änderte sich insgesamt durch das Distance-Format wenig.
Die induktiv gebildeten Kategorien werden nach einer ersten qualitativen Beschreibung in einem Folgeschritt weiteren quantitativen Analysen unterzogen, wodurch sich Fragestellungen, wie z.B., welche Formate werden von den Studierenden als besonders lernwirksam erlebt, auch quantitativ überprüfen lassen.
Die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Ausgestaltung von Praxisphasen in der Lehrer*innenbildung im Zuge zunehmender Digitalisierung diskutiert und erlauben Schlussfolgerungen auch für die Zeit nach dem coronabedingten Distanzunterricht.
Literaturverzeichnis:
Bach, A. (2013). Kompetenzentwicklung im Schulpraktikum. Ausmaß und zeitliche Stabilität von Lerneffekten hochschulischer Praxisphasen. Münster: Waxmann.
Bach, A. (2020). Tages- und Blockpraktika. In C. Cramer, J. Koenig, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 621–628). Bad Heilbrunn: Klinkhardt/UTB.
Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520.
Mayring, P. (2008). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (10. Aufl.). Weihnheim: Beltz.
*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.