Qualitätsentwicklung in der frühen Bildung gestalten: Potenziale von Transferaktivitäten*

Autor*innen: Kristine Blatter, Stefan Michl & Regine Schelle

Audiokommentar der Autor*innen:

 

Abstract

Wie kann Qualität in der frühen Bildung weiterentwickelt werden? Die Beantwortung dieser Frage bildet aktuell eine zentrale Herausforderung bei der Entwicklung des Systems der frühen Bildung zu einem kompetenten System (Urban et al., 2012). Dabei wird der Erfolg von Qualitätsentwicklungsprozessen in erheblichem Maße von einem gelingenden Transfer – d. h. dem „Übertragen“ (Wissenschaftsrat, 2016) – des Forschungswissens in die Praxis (und Politik) beeinflusst (Durand & Eckhardt, 2018). Die Schnittstelle zwischen Wissenschaft einerseits und Praxis und Politik andererseits kann somit als entscheidender Flaschenhals bei der Qualitätsentwicklung in der frühen Bildung angesehen werden. Transfer- und Qualitätsentwicklungsprozesse werden erst dadurch ermöglicht, dass das Verhältnis zwischen diesen beiden Seiten nicht als hierarchisch verstanden wird, sondern vielmehr auf gegenseitiger Anerkennung und Reflexion von Lernprozessen aufbaut (Durand & Eckhardt, 2018). Dementsprechend sollten Austauschprozesse zwischen Wissenschaftler*innen und Transferpartner*innen bi- bzw. multidirektional und rekursiv erfolgen (Wissenschaftsrat, 2016). Denn die Vorstellung, dass es sich beim Wissenstransfer um einen einfachen, unidirektionalen, linearen Prozess handelt, ist unzureichend und hat möglicherweise zur Folge, dass Transferpotenziale nicht genutzt werden und Transferbemühungen misslingen (Wissenschaftsrat, 2016).

Im vorliegenden Beitrag beschäftigen wir uns mit der Frage, inwiefern und unter welchen Bedingungen das in frühpädagogischen Forschungsprojekten gewonnene Wissen zur Qualitätsentwicklung in die Praxisfelder der frühen Bildung, auf die Steuerungsebene (Träger, Verbände, Administration), in die Aus-, Fort- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte sowie in die Politik und Gesellschaft transferiert werden kann.

Datenbasis bilden zunächst die Projektskizzen zehn unterschiedlicher Projekte einer Förderrichtlinie im Bereich der frühen Bildung. Diese werden hinsichtlich darin beschriebener Transferaktivitäten und -strategien ausgewertet. Bei der Auswertung erfolgt eine Berücksichtigung von drei Oberkategorien, unter denen die verschiedenen Transferaktivitäten zusammengefasst werden können (Wissenschaftsrat, 2016): Wissenschaftskommunikation, Beratung unterschiedlicher Akteure (aus Politik und Praxis), Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Weiterführend wird als Schwerpunkt das methodische Vorgehen eines Metavorhabens geschildert, das die Förderrichtlinie begleitet und die Erkenntnisse aus einer Meta-Perspektive zusammenfasst. Im Rahmen dieses Metavorhabens wird anhand eines dialogischen, partizipativen Forschungsvorgehens eruiert, welche praktischen Implikationen sich aus den Forschungserkenntnissen der beteiligten Projekte ergeben. Hierzu werden zunächst – auf Grundlage einer literaturbasierten Reflexion der Entwicklungsbedarfe des Systems der frühen Bildung sowie der Sichtung der Forschungsfragen und Erkenntnisse der einzelnen Projekte – Gruppeninterviews mit Vertreter*innen der Forschungsgruppen durchgeführt. Nachdem diese Interviews inhaltsanalytisch ausgewertet wurden, erfolgen in einem weiteren Schritt hierauf aufbauende Gruppendiskussionen mit heterogen zusammengesetzten Gruppen von Akteur*innen und Stakeholdern aus dem System der frühen Bildung (z. B. Kita-Leitungen, Fachberatungen, Trägervertreter*innen, Vertreter*innen aus der Politik, Vertreter*innen aus der Aus-, Fort- und Weiterbildung). Ziel dieser Gruppendiskussionen ist die Diskussion und Bewertung der praktischen Handlungsmöglichkeiten. Abschließend werden Schlussfolgerungen mit Blick auf die Qualitätsentwicklung und den Transfer im System der frühen Bildung gezogen und so der (Transfer-)forschung im frühpädagogischen Arbeitsfeld entscheidende Impulse gegeben.

Erste Auswertungen der Projektskizzen zeigen, dass der stärkste Fokus der beteiligten Forschungsprojekte bei den Transferaktivitäten auf dem Bereich Wissenschaftskommunikation liegt. Hier werden unterschiedliche Formate – bspw. Workshops, Expert*innenrunden, Publikationen in wissenschaftlichen sowie fachpraktischen Zeitschriften – und Zielgruppen – bspw. Fachpraxis, Wissenschaftler*innen, fachpolitische Gremien – genannt, wobei augenscheinlich besondere Schwerpunkte auf die Dissemination der Ergebnisse in die Wissenschaft sowie die gemeinsame Reflexion der Forschungserkenntnisse mit der Fachpraxis gelegt werden. Transferaktivitäten, die dem Bereich „Beratung unterschiedlicher Akteure“ zuzuordnen sind, werden von wenigen Forschungsprojekten genannt. In diesem Zusammenhang wird am häufigsten auf die Ableitung von Handlungsempfehlungen oder Handreichungen für die Praxis eingegangen. Zudem schildern einige Forschungsprojekte Möglichkeiten der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis. Zu diesen zählt die Nutzung des im Forschungskontexts generierten Materials – bspw. in Form von Videos/Fallvignetten – für die Qualifikation von Fachkräften im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen. Insgesamt unterstreichen diese ersten Auswertungen, dass im Bereich der frühpädagogischen Forschung hinsichtlich der Entwicklung einer umfassenden Transferstrategie noch Diskussions- und Handlungsbedarf.

 

*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.