Musik adaptiv unterrichten: Messung von Professionswissen und situationsspezifischen Fähigkeiten zur Evaluation einer Lehrveranstaltung*

 

Autor*innen: Gabriele Puffer & Bernhard Hofmann

 

Abstract

Forschungsgegenstand
Im Rahmen der BMBF-geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ wird an der Universität Augsburg das Projekt „Förderung der Lehrerprofessionalität im Umgang mit Heterogenität“ (LeHet) durchgeführt. Im Teilprojekt „LeHet Musik“ wurde der Frage nachgegangen, inwieweit sich fachdidaktische Wissensbestände und professionelle Wahrnehmung von Lehramtsstudierenden in der Domäne „Vokaldidaktik/ Singen mit Kindern im schulischen Musikunterricht“ mit Hilfe eines hochschuldidaktischen Lehrformats fördern lassen, das fallbasiertes Arbeiten mit Audio- und Videovignetten einbezieht. Die empirische Überprüfung der Wirksamkeit des Kurskonzepts sollte nicht nur auf Basis von Selbsteinschätzungen erfolgen, sondern auch über entsprechende Messungen. Hierfür musste ein geeignetes Testinstrument entwickelt werden.

Theoretischer Hintergrund
Den konzeptionellen Gesamtrahmen für Lehrformat und Evaluation bildet das überfachliche Modell professioneller Kompetenz nach Blömeke, Gustafsson und Shavelson (2015), das die dispositionsbezogenen Komponenten bisheriger Modelle um situationsspezifische Fähigkeiten erweitert. (Musik) Unterrichten wird im Projekt grundsätzlich als Lösen einer Folge von Handlungsproblemen aufgefasst. Erfahrene Lehrkräfte treffen demnach Handlungsentscheidungen auf der Basis von Dispositionen (z. B. Professionswissen, Beliefs) und von Problemlöseheuristiken, die sie situationsspezifisch abrufen (vgl. Bromme, 1992, 1997; Dann & Haag, 2017).
Zur Konzeptualisierung der Wissensbestände, die die Studierenden im „LeHet-Seminar“ erwerben sollen, wurde das empirisch gestützte Modell fachspezifischen Professionswissens aus dem Projekt FALKO-M herangezogen (Puffer & Hofmann, 2017). Damit korrespondierende situationsspezifische Fähigkeiten sind in Bezugnahme auf das Konzept professioneller Wahrnehmung (professional vision) modelliert (vgl. Sherin, 2007; Seidel, Blomberg & Stürmer, 2010). Die notwendigen fach- und domänenspezifischen Konkretisierungen wurden auf Grundlage der Anforderungen der KMK zur Musiklehrerbildung (KMK, 2017, S. 41-42) sowie einschlägiger musikdidaktischer Literatur vorgenommen (z. B. Hofmann, 2015; Henning, 2014; Jank & Gallus, 2013; Mohr, 2013).

Methodisches Vorgehen
Zur Messung der solchermaßen modellierten professionellen Kompetenzen wurde ein dreißigminütiger Papier-und-Bleistift-Test mit 10 Items entwickelt, der möglichst handlungsnah konzipiert ist. Den Kern des Tests bilden vier Aufgabenstämme, die jeweils ein problemhaltiges Szenario mit einem Audio- oder Video-Stimulus aus schulischem Musikunterricht enthalten. Die Bearbeitung dieser Aufgabenstellungen erfolgt in offenem Format und erfordert ein Bündel an Kompetenzen, das eine fachdidaktische Wissensbasis ebenso umfasst wie die Fähigkeit, Unterrichtsereignisse wahrzunehmen und zu beschreiben, die für die professionelle Gestaltung schulischen Singunterrichts relevant sein könnten (“noticing”), sie theoriegeleitet zu interpretieren („knowledge based reasoning“) und im Anschluss sach- und schüler*innengerechte Entscheidungen über mögliche Handlungsanschlüsse zu treffen. Die Testauswertung erfolgte inhaltsanalytisch mit Hilfe eines Kodierleitfadens, die Testscores wurden auf Grundlage der Urteile zweier unabhängig voneinander arbeitender Rater ermittelt.

Ergebnisse
Im Sommersemester 2018 wurde das Testheft im Rahmen eines Pre-Post-Designs mit Versuchs- und Kontrollgruppe den Studierenden zweier vokaldidaktischer Seminare vorgelegt (Versuchsgruppe: n = 18, Kontrollgruppe: n = 11; Studienerfahrung in Fachsemestern: M = 3.14, SD = 1.65). Zusätzlich füllten 16 Expert*innen den Test aus und gaben Urteile über seine Berufsfeldrelevanz ab (berufserfahrene Musiklehrkräfte, Musikdidaktiker*innen, Chorleiter; schulische Berufserfahrung in Jahren: M = 8.25, SD = 5.83). Die Expertenurteile über die Berufsfeldrelevanz der Testszenarien und ‑aufgaben fielen durchwegs positiv aus (Einschätzung auf einer vierstufigen Skala von 1 = nicht relevant bis 4 = sehr relevant; M = 3.67, SD = .14), was als Anhaltspunkt für inhaltliche Validität gewertet werden kann. Auf Grundlage intensiver Entwicklungsarbeit am Kodiermanual und entsprechender Raterschulungen konnten für die 8 offenen Items solide mittlere Interraterreliabilitäten erreicht werden (Spearmans ρ; r = .88, SD =.08). Innere Konsistenz und Trennschärfen der Skala fielen zufriedenstellend aus (Cronbachs α = .92; rit: M = .76, SD =.06). Im Prä-Post-Vergleich konnte die Versuchsgruppe ihr Testergebnis deutlich steigern (t(17)=2.81, p < .01, d=.82; Berechnung der Effektstärke bei wiederholten Messungen nach Morris & DeShon, 2002), während sich bei der Kontrollgruppe kein signifikanter Zuwachs messen ließ (t(10) = 0.49, p = .64, d = .16).

Über den Vergleich von Testscores hinaus ermöglicht das offene Itemformat weitere Erkenntnisse zur Entwicklung professioneller Kompetenzen angehender Musiklehrkräfte. Sie sollen im Vortrag ebenfalls thematisiert werden.

 

*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.