Abstract
„Literale Prozeduren“ bzw. „Textroutinen“ gelten im deutschsprachigen Raum als wesentlicher Aspekt von Schreibkompetenz (Feilke 2012; Steinhoff 2007). Sie sind sprachliche Form-Funktionseinheiten in schriftlichen Texten, die ausdrucksseitig eine saliente Gestalt aufweisen und rekurrente kommunikative Aufgaben beim Schreiben erfüllen. Als prozedurales Wissen liegen sie zwischen Schreibprodukt und Schreibprozess und fokussieren unter anderem auf lexikalische, grammatische und textstrukturelle Aspekte (Feilke 2010, S. 3-4; Feilke, 2012, S. 7-11, 17-18). Eine besondere Bedeutung beim argumentativen Schreiben wird sog. „konzessiven (literalen) Prozeduren“ zugeschrieben (Feilke 2010). Sie zählen zu den textbildenden Prozeduren und bestehen grundsätzlich aus einer Einräumung und einer Gegenbehauptung. So gilt etwa die zweiteilige konzessive Prozedur „zwar … aber“ als satzübergreifendes Werkzeug des Argumentierens, mit dem „mögliche Gegenargumente oder Einstellungen vorweggenommen werden, und gleich anschließend den so bereiteten textlichen ‚Sympathieboden‘ für ein eigenes Gegenargument zu nutzen […]“ (Feilke 2010, p. 11). Laut Rezat (2011a) lassen sie sich in vier verschiedenen Kategorien unterteilen.
Insgesamt liegen zu solchen Prozeduren allerdings nur wenige Studien vor, die sich zudem auf die Sekundarstufen oder auf erwachsene Schreiber/innen beziehen (Petersen 2013, Steinhoff 2007).
Es stehen deshalb vier Forschungsfragen im Mittelpunkt:
1. Über welche konzessiven Prozeduren verfügen Schüler/innen am Ende der Primarstufe?
2. Wie häufig werden ein- bzw. mehrteilige Prozeduren verwendet?
3. Sind Prozeduren ein zentraler Indikator für die Schreibkompetenz?
4. Wie häufig kommen konzessive Prozeduren nach Rezats (2011a) Kategorisierung in den Texten der österreichischen Bildungsstandardüberprüfung vor?
Grundlage der Studie sind Viertklässler/innen aus allen österreichischen Bundesländern. Die repräsentativen Daten wurden 2015 im Rahmen der nationalen Bildungsstandardüberprüfung (BIST-Ü) erhoben. Es wurden Daten zu zwei argumentativen Schreibaufgaben (n = 1858 Texte) analysiert.
Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wurden die bei u.a. Feilke ausgewiesenen konzessiven Prozeduren durch verschiedene Raterinnen und Rater kodiert. Die Ergebnisse geben Auskunft über Vorkommenshäufigkeiten, die syntaktische Komplexität (einteilige oder mehrteilige Prozeduren) sowie Grade der richtigen und angemessenen Verwendung der Prozeduren. Es zeigt sich, dass 882 der 1858 Texte zumindest eine konzessive Prozedur enthalten. Insgesamt kommen 1502 konzessive Prozeduren vor, das bedeutet, es gibt 0.8 Prozeduren pro Text (MW). Insgesamt wurden 52 unterschiedliche Realisierungen von konzessiven Prozeduren in den Texten kodiert. Der falsche Einsatz konzessiver Prozeduren war sehr gering. Erkennbar ist außerdem, dass die syntaktisch komplexen mehrteiligen konzessiven Prozeduren in den Texten selten vorkommen und kaum falsch verwendet wurden.
Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wurde die Häufigkeit konzessiver Prozeduren mit Leistungsdaten zum Schreiben aus der nationalen Bildungsstandardüberprüfung in Beziehung gesetzt. Es zeigten sich geringe negative Korrelationen zwischen der Nicht-Verwendung von Prozeduren und dem Rating der BIST-Ü sowie ein geringer Zusammenhang zwischen der Anzahl der verwendeten konzessiven Prozeduren und zwischen der Verwendung unterschiedlicher konzessiver Prozeduren in einem Text und dem BIST-Ü-Ergebnis in „Inhalt“. Es konnte keine Korrelation zwischen der Anzahl der falsch verwendeten und mehrteiligen konzessiven Prozeduren und dem Testergebnis festgestellt werden (Ergebnis aufgrund der geringen Fallzahlen nicht signifikant).
Für die Beantwortung der dritten Forschungsfrage wurden ca. 400 Prozeduren nach Rezat (2011a) kategorisiert. Etwa 22 % entsprechen Typ IV (auch: „präkonzessive Argumentation“ nach Rezat 2011a). Mehr als 50 % sind konzessive Prozeduren vom Typ V, einer neuen Kategorie, die im Datensatz gefunden wurde und die von Rezat (2011a) in einem Beispiel erwähnt, aber nicht klassifiziert wird. Auch hierbei handelt es sich um eine Form der präkonzessiven Argumentation.
Die Formen von „präkonzessiven Verfahren“ dominieren also in den argumentativen Texten der 4. Klasse (Typ IV und V). Zwischen Schreibkompetenz laut BIST-Ü und konzessiven Prozeduren lässt sich in der vorliegenden Studie kein klarer Zusammenhang feststellen.
*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.