Abstract
Theoretischer Hintergrund
Schreiben stellt eine kognitiv komplexe Handlung dar (Kellogg, 2008), der Aufbau von Schreibkompetenz ist schwierig und langwierig (Bachmann/Becker-Mrotzek 2017). Befunde aus DESI (Neumann/Lehmann 2008) und NAEP (2012) zeigen, dass sich selbst in höheren Jahrgangsstufen Schreibkompetenz kaum weiterentwickelt. Graham/Hebert (2011) sowie Graham/Harris (2005) kommen in ihren (Meta-)Studien zu dem Ergebnis, dass der Einsatz domänenspezifischer Lernstrategien den Kompetenzerwerb in der Domäne wesentlich vorantreiben kann.
Die pädagogisch-psychologische Forschung kann eine Vielzahl wirksamer direkter Lernstrategietrainings für verschiedene Domänen (z. B. SRL) aufzeigen. Schüler/-innen können dabei erlernte Strategien auf strukturell ähnliche, trainingsnahe Lernaufgaben anwenden (naher Transfer) (Schuster et al. 2019). Empirische Befunde zum erfolgreichen Transfer der Lernstrategien in trainingsfernen Lernaufgaben (ferner Transfer) sind dagegen selten.
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden für das Projekt RESTLESS für das Erzählen als curricular relevantes Textmuster domänenspezifische Lernstrategien im Rahmen eines selbstregulierten Lese-/Schreibtrainings entwickelt. Diese Textproduktionsstrategien verbinden linguistisch-textuelle mit kognitiv-psychologischen Elementen: Das Erzählen erfordert beim Lesen die Rekonstruktion eines mehrdimensionalen mentalen Modells der narrativen Welt aus dem Text, während des Schreibens muss dieses selbst entwickelt werden. Zwaan et al. (1995) sowie Bühler (1965) gehen im Wesentlichen von drei kognitiven Dimensionen (temporal-kausal, räumlich-physikalisch, figural) aus, die für die Konstitution einer narrativen Welt notwendig sind. RESTLESS greift diese drei Aspekte als Subfacetten der Erzählkompetenz auf und bietet textmusterspezifische Strategien (= Textproduktionsstrategien) zu ihrer Entwicklung an. Zur Förderung des Transfers dieser wurde ein Konzept gewählt, das ein direktes und indirektes Strategietraining (Friedrich/Mandl 1997) kombiniert.
Fragestellung
1. Wie verändert sich die Nutzung der Strategieanwendung während der Trainingsphasen?
2. Wie zeigt sich diese direkt nach der Strategieeinführung, zu späteren Zeitpunkten im Training (naher Transfer) und in der trainingsfernen Testsituation (weiter Transfer)?
3. Wie reflektieren Schüler/-innen über Schreibstrategien, deren Einsatz in eigenen Texten und fremden Texten?
Methode
In einer 13-wöchigen Intervention wurden textmusterspezifische Textproduktionsstrategien vermittelt und eingeübt (Knott 2019). Die quasi-experimentelle Interventionsstudie im Treatment-Kontrollgruppendesign wurde mit über 1.000 Kindern der 4./5. Jahrgangsstufe durchgeführt. Die Schreibleistung in Form von trainingsfernen Schreibtest mittels Codierung im Doppelblindverfahren quantitativ erfasst. Darüber hinaus liegen alle Texte vor, die innerhalb des Trainings entstanden sind.
Aufbauend auf den Ergebnissen der Gesamtstudie wurde in einer ersten Teilstudie die Anwendung und der Transfer der Textproduktionsstrategien überprüft. Hierfür wurden trainingsferne Texte und Texte aus dem Training in Form einer quantitative Inhaltsanalyse ausgewertet (N=240; 6 MZP). Die offenen Textformate wurden mit einem aus der Theorie und dem Datenmaterial entwickelten Raster (ICC=0.85) im Doppelblindverfahren codiert (Knott 2019). Im Anschluss wurde gezeigt, wie sich die Strategieumsetzung in verschiedenen Testformaten verändert und inwieweit Schüler/-innen einen Transfer der Textproduktionsstrategien leisten können.
In einer zweiten Teilstudie wurden dieselben Kinder in Leitfadeninterviews befragt, wie sie über Strategien und ihren eigenen Strategieeinsatz reflektieren. Darüber hinaus wurde an zwei Beispielen (Erklärung, Bewertung eines Schülertextes) geprüft, ob und wie sie einen Transfer der Strategieanwendung leisten können. Die Daten wurden in einem deduktiv-induktiven Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz et al. 2008). Schließlich folgt eine Gegenüberstellung der Ergebnisse der Teilstudien.
Ergebnisse
Mit Hilfe von Wachstumsmodellen wurde der Zuwachs von Strategiebewusstsein und Schreibleistung berechnet. Es zeigte sich, dass die Intervention wirksam ist. Schüler/-innen entwickeln während der Intervention zunehmend Strategiebewusstsein, verwenden häufiger Strategien, dadurch steigt ihre Schreibleistung im Vergleich zur Wartekontrollgruppe. Die Wirksamkeit der Strategienutzung der Testgruppe variiert zwischen den drei verschiedenen Teilstrategien (d = .12-.32).
Die Hypothese, dass die Umsetzung der Textproduktionsstrategien bei trainingsnahen Aufgaben häufiger erfolgt, als bei trainingsfernen, komplexeren Aufgaben kann durch die Daten gestützt werden.
In der Interviewstudie zeigte sich deutlich, dass Schüler/-innen die Erlernbarkeit von Schreiben und Strategiewissen am Ende des Trainings betonten, was sich positiv auf ihre Schreibmotivation auswirkte. Strategieaufmerksame Schüler/-innen konnten im nahen Transfer Merkmale einer gelungenen Erzählung anderen Kindern vermitteln, im fernen Transfer einen defizitären Schülertext bewerten und verbessern.
*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.