Abstract
Ziel der Studie:
Unterricht zum Gleichungslösen zielt auf die Entwicklung strategischer Flexibilität, also auf die Generierung und Evaluation multipler Lösungswege. Zur Förderung der strategischen Flexibilität erwies sich das Vergleichen von Lösungswegen in Laborstudien als lernwirksam (Durkin et al., 2017). Die Implementation des Vergleichens von Lösungswegen zur Förderung strategischer Flexibilität in den Schulalltag ist aber herausfordernd, beispielsweise konnten Star et al. (2015) in ihrer Interventionsstudie keinen Haupteffekt auf die Schülerleistung nachweisen. Es fiel den Lehrkräften schwer, in Klassengesprächen die Vergleiche für den Wissensaufbau erfolgreich zu nutzen.
Produktive Klassengespräche initiieren und unterstützen Lernende zum gemeinsamen Denken und Argumentieren in der Klasse. Sie fördern den Aufbau von konzeptuellem Wissen (Chen et al., 2020). Daher vermuteten wir, dass das Vergleichen durch produktive Klassengespräche profitieren kann und konzipierten zwei Weiterbildungen für Lehrkräfte. Thema beider Weiterbildungen war das Vergleichen von Lösungswegen, in der zweiten Weiterbildung zusätzlich der Accountable Talk (Michaels et al., 2010), ein Ansatz zur Orchestrierung produktiver Klassengespräche.
Zur Untersuchung der Wirkung beider Weiterbildungen auf die Schülerleistung, bildeten wir zwei Experimentalgruppen von Lehrkräften (EGComp: Weiterbildung zum Vergleichen; EGComp&AT: Weiterbildung zum Vergleichen & Accountable Talk) und eine Kontrollgruppe. Nach der Weiterbildung unterrichteten die Lehrkräfte der Experimentalgruppen das Thema «quadratische Gleichungen» (16 Lektionen) in ihren eigenen Klassen, ebenso die Lehrkräfte der Kontrollgruppe, eine Warte-Kontrollgruppe. Unsere Forschungsfrage lautete: Unterscheiden sich die Zuwächse der Schülerleistungen in den beiden Experimentalgruppen im Vergleich zu jenen der Kontrollgruppe?
Zwei Hypothesen wurden geprüft: 1. Der Zuwachs der Schülerleistung ist in beiden Experimentalgruppen grösser als in der Kontrollgruppe, 2. Der Zuwachs der Schülerleistung in der EGComp&AT ist grösser als jener in der EGComp.
Methode:
Design und Stichprobe: Die Studie folgte einem experimentellen Design mit einem Basislinien-Test, um das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler zu messen, bevor ihre Lehrkräfte die Weiterbildung besuchten, einem Prätest zu Beginn der Unterrichtseinheit zum Lösen quadratischer Gleichungen nach der Weiterbildung, einem Posttest am Ende der Unterrichtseinheit und einem Nachtest 2.5 Monate später. Die Zuordnung der Lehrkräfte (n = 39) zu den drei Gruppen erfolgte randomisiert. Als abhängige Variablen wurden das prozedurale Wissen, Flexibilitätsgebrauchswissen, Flexibilitätswissen und konzeptuelles Wissen erhoben (adaptierte Skalen aus Star et al., 2015).
Weiterbildungen: Den Lehrkräften wurden in beiden Weiterbildungen Unterrichtsmaterial zum Vergleichen von Lösungswegen zur Verfügung gestellt. Beide Weiterbildungen zielten darauf, dass die Lehrkräfte dieses Material im eigenen Unterricht nutzen können. Kern der Weiterbildung waren zwei Unterrichtserprobungen durch die teilnehmenden Lehrkräfte. Deren Planung wurde auf Basis des fachspezifischen Coachings begleitet (West & Staub, 2003), die videografierten Lektionen wurden in der Weiterbildung gemeinsam ausgewertet. Beide Weiterbildungen umfassten je vier Kurstage verteilt über zwei Monate.
Datenauswertung: Über alle Messzeitpunkte hinweg fehlten zwischen 5 % und 12 % der Werte. Diese fehlenden Werte schätzten wir mit fünf multiplen Imputationen in SPSS (Graham, 2009). Zur Berücksichtigung der genesteten Datenstruktur wurden mehrebenenanalytische lineare Regressionsmodelle mit HLM gerechnet, die beiden Experimentalgruppen wurden dummy-kodiert. Zur Prüfung der ersten Hypothese setzten wir die Kontrollgruppe als Referenzgruppe (Code 0), zur Prüfung der zweiten Hypothese die EGComp (Code 0). Relevante Kovariaten, die das Vorwissen der Lernenden, Klassen- und Studienmerkmale repräsentierten, wurden ebenfalls in die Regeressionsmodelle aufgenommen.
Resultate:
Konform zur ersten Hypothese zeigten beide Experimentalgruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant größere Leistungszuwächse vom Prätest zum Posttest in fast allen vier Wissensskalen: Prozedurales Wissen (EGComp: p = .005; EGComp&AT: p = .004), Flexibilitätsgebrauchswissen (EGComp und EGComp&AT: p < .001), Flexibilitätswissen (EGComp: p = .005; EGComp&AT: p = .002), konzeptuelles Wissen war nur für die EGComp&AT signifikant (p = .010). Signifikante Unterschiede fanden sich auch beim Nachtest 2.5 Monate später für das Flexibilitätsgebrauchswissen (EGComp: p = .002; EGComp&AT: p = .007) und für das Flexibilitätswissen für EGComp (p = .038).
Die zweite Hypothese wurde teilweise bestätigt: Beim Posttest zeigten die Schülerinnen und Schüler der EGComp&AT-Bedingung einen marginal signifikant höheren Zuwachs (p = .091) im konzeptuellen Wissen als jene der EGComp-Bedingung. Die Zuwächse in den anderen Skalen waren hingegen vergleichbar.
Diskussion:
Die Ergebnisse in Bezug auf die erste Hypothese erweitern die bisherige Forschung von Star et al.. Während Star et al. (2015) nur zeigten, dass eine häufigere Nutzung des Vergleichens von Lösungswegen mit einem grösseren prozeduralen Wissen verbunden ist, fanden wir in unserer Studie signifikante Haupteffekte unserer Weiterbildungen auf alle vier Wissensskalen. In Bezug auf die zweite Hypothese sind weitere Studien nötig, da wir sie nur teilweise bestätigen konnten.
*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.