Abstract
Das Praxissemester in NRW beinhaltet für Lehramtsstudierende die Durchführung von eigenen Forschungsvorhaben (MSW, 2010) angelehnt am Konzept des Forschenden Lernens (Huber, 2009). Ziel ist die Ausbildung einer Forschenden Grundhaltung als Teil einer Forschungskompetenz (KMK, 2019; Kullmann, 2011). Ein Vorbereitungsseminar soll den Studierenden die forschungsmethodischen Fähigkeiten vermitteln, Forschungsfragen zu entwickeln, den Forschungsprozess zu planen und das Projekt durchzuführen (vgl. Großmann et al., 2019). Mehrere Faktoren erschweren die Ausbildung der Forschenden Haltung. Rahmenbedingungen fordern die Abgabe einer Skizze des Forschungsprojekts nach nur fünf Wochen. Studien weisen auf eine mangelnde forschungsmethodische Kompetenz (Riewerts et al., 2018) sowie eine mangelnde Forschungsmotivation (Fichten, 2010b) bei Studierenden hin.
In dieser Pilotierungsstudie wurden die forschungsmethodischen Inhalte als Inverted Classroom (IC) (bspw. Weidlich & Spannagel, 2014) vermittelt. Der Wissenserwerb geschieht selbstverantwortet und flexibel mit Videos vor den Präsenzsitzungen. In den frei gewordenen, verstärkt konstruktivistisch gestalteten Präsenzsitzungen, werden die Forschungsvorhaben eng mit dem Dozierenden zusammen geplant (vgl. Lage et al., 2000). Im Sinne der Self-Determination-Theory (SDT; Ryan & Deci, 2017) soll sich dies positiv auf die Ausbildung einer Forschenden Haltung auswirken (Fichten, 2010b).
Problematisch ist, dass sich Misserfolgserlebnisse während der Forschungsarbeit negativ auf die Forschende Haltung auswirken (Fichten, 2010b). Die IC-Struktur soll dem im Sinne der SDT begegnen. Autonomie wird im Kurs u.a. durch Flexibilisierung der Wissensaneignung erreicht, wobei Kompetenz sowie soziale Eingebundenheit u.a. durch individuellere Unterstützung in den Sitzungen ermöglicht wird. Es wird angenommen, dass sich IC positiv auf die Grundbedürfnisse (Sergis et al., 2018) und deren Erfüllung sich auf die selbstbestimmte Motivation auswirkt (vgl. Ryan & Deci, 2017). Studienergebnisse zum Nutzen eines IC-Seminars sind widersprüchlich (Giannakos et al., 2018). Positive Befunde (Huang & Hong, 2016; nicht nachweisbare (Chen, 2016) und negative Ergebnisse (Arnold-Garaza, 2014) liegen vor.
Wirkt sich die Gestaltung eines Seminars als IC-Konzept förderlich auf die Erfüllung der Grundbedürfnisse, die motivationale Regulation und den Wissenserwerb aus?
Die Gelegenheitsstichprobe dieser Pilotierungsstudie setzt sich aus zwei Vorbereitungsseminaren (MSemester = 8; SoSe 2018) zusammen. Ein Seminar mit IC (N=16; 13 weiblich) und eine Kontrollgruppe ohne IC (KG=15; 9 weiblich). Die Seminare folgten einem Vor-/Nachtest-Interventions-Design und waren inhaltlich gleich aufgebaut, bis auf die vorbereitenden Videos zu Forschungsmethoden. Der Workload beider Seminare wurde durch ergänzende Aufgaben in der KG gleich gehalten. Als abhängige Variablen wurden die Erfüllung der Grundbedürfnisse basierend auf der Basic Psychological Needs Scale (BPNS, Deci & Ryan, 2000) erfasst (Autonomie fünf Items; Cronbachs Alpha=.650 (IC) / .814 (KG); Kompetenz sechs Items (Alpha=.888 (IC) / .701 (KG); soziale Eingebundenheit acht Items (Alpha=.734 (IC) / .844 (KG)).
Die motivationale Regulation wurde basierend auf dem Self-Regulation-Questionnaire (SRQ-L, Black & Deci, 2000; Thomas & Müller, 2015) erhoben. Zu drei Tätigkeiten mit Bezug zum Kurs wurden sieben autonome (Alpha=.867 (IC) / .786 (KG)) und sieben kontrollierte (Alpha=.722 (IC) / .831 (KG)) Begründungen für die eigenen Handlungen beurteilt.
Forschungsmethodische Kenntnisse wurden mit Wissensfragen (selbst entwickelt) erfasst.
Beide Gruppen unterschieden sich nach dem Kurs nicht signifikant in ihrer wahrgenommenen Autonomie (t(28)=0.51, p=.617). In der wahrgenommenen Kompetenz unterschieden sie sich tendenziell zugunsten der KG (t(28)=-1.98, p=.058). Die IC-Gruppe empfand jedoch eine höhere soziale Eingebundenheit mit dem Dozierenden als die KG (t(28)=2.35, p=.026, d=.85).
Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen IC und KG in autonomen (t(28)=-0.12, p=.91) und kontrollierten (t(28)=-0.67, p=.51) Begründungen für das Handeln im Kurs.
Die IC-Gruppe schnitt in dem Test zu den forschungsmethodischen Kenntnissen besser ab als die KG (t(28)=2.11, p=.044, d=.76).
Durch die Ergebnisse scheint es unplausibel, dass die bessere Leistung hinsichtlich Forschungsmethoden durch ein höheres Kompetenzerleben und eine selbstbestimmtere Motivation im Kurs begründet ist. Plausible Gründe sind hingegen die flexible Nutzbarkeit der Videos und die höhere individuelle, problemorientierte Beratungszeit. Weitere Variablen werden neben Implikationen für die Lehre diskutiert.