Digital oder Print? Untersuchung des Testmodus anhand des Grazer Wortschatztests im letzten Kindergartenjahr*

Autor*innen: Susanne Seifert, Lisa Paleczek, Martin Schöfl, Isabella Gaisch & Nicole Reisner

Abstract

Der Wortschatz ist nicht nur grundlegend für die Entwicklung anderer sprachlicher Fähigkeiten, er bildet auch eine Voraussetzung für viele andere schulrelevante Fähigkeiten. Insbesondere die Lesekompetenz (vor allem das Leseverständnis) wird durch das Wortschatzwissen im Kindergarten vorhergesagt (z.B. Ennemoser, Marx, Weber & Schneider, 2012; Muter et al., 2004). Für Zweitsprachenlerner*innen (L2) ist dieser enge Zusammenhang noch wichtiger. Studien zeigen übereinstimmend, dass L2-Lerner*innen im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen mit deutscher Erstsprache ein geringeres Wortschatzwissen in ihrer L2 aufweisen (z.B. Klassert, 2011; Seifert et al., 2019) und bei Leseprüfungen in ihrer L2 schlechter abschneiden (Melby-Lervåg & Lervåg, 2014; Wendt & Schwippert, 2017). Zudem ist die Korrelation zwischen Wortschatz und Leseverständnis bei L2-Lerner*innen höher als bei Kindern mit deutscher Erstsprache (Seifert et al., 2019).

Mit der Anerkennung der bedeutenden Rolle des Wortschatzwissens für die spätere Leseleistung, insbesondere bei L2-Lerner*innen, zeichnet sich ein Konsens ab, dass frühe Interventionen bereits im Kindergarten notwendig sind, um den Wortschatz der Kinder zu verbessern. In der inklusiven Bildungspraxis ist Diagnostik entscheidend, damit Pädagog*innen maßgeschneiderte Fördermaßnahmen anbieten können, die sich positiv auf die Fähigkeiten der Kinder auswirken. Der Einsatz digitaler Werkzeuge kann die Diagnostik erleichtern und bietet viele Vorteile gegenüber traditionellen Print-Methoden, insbesondere in der Administration, der automatisierten Auswertung, Interpretation und Rückmeldung sowie der Motivation der Kinder (Farrell & Rushby, 2016; Neumann et al., 2019). Auch wenn die Umwandlung eines Print-Verfahrens in ein digitales einen natürlichen Schritt beim Übergang zu technologiebasierter Diagnostik darstellt (Neumann et al., 2019), sollten die digitalen Testergebnisse mit denen der Printversion vergleichbar sein. Die steigende Zahl internationaler Forschung zu den Auswirkungen des Testmodus ist nicht konsistent (Blumenthal & Blumenthal, 2020), aber viele Studien deuten eher darauf hin, dass der Testmodus keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Ergebnisse haben (z.B. Hamhuis et al., 2020).

Ein kürzlich digitalisiertes Diagnostikinstrument des rezeptiven Wortschatzwissens im Kindergarten (Grazer Wortschatztest – Kindergarten: GraWo-KiGa) wird in diesem Beitrag vorgestellt. Zunächst adaptierten wir im Rahmen mehrerer Studien ein bestehendes Wortschatzscreening (GraWo: Seifert, Paleczek, Schwab & Gasteiger-Klicpera, 2017), das ursprünglich für die Klassenstufen 1-3 entwickelt wurde, für den Einsatz im Kindergarten in Kleingruppensettings (Cronbachs α=.85). Darauffolgend haben wir dieses Print-Verfahren in eine digitale Anwendung für Tablets umgewandelt. Beide Testmodi wurden bei Kindern im letzten Kindergartenjahr eingesetzt, um mittels Mixed-Methods Ansatz Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob (a) der digitale und der gedruckte Modus zu vergleichbaren Ergebnissen in dieser Altersgruppe führen und b) es Unterschiede zwischen den Modi in Bezug auf die Durchführbarkeit und die Akzeptanz durch die Kinder gibt.

85 Kinder im letzten Kindergartenjahr wurden entweder einzeln oder in kleinen Gruppen mit der digitalen und der Printversion des GraWo-KiGa über einen Zeitraum von 2 bis 30 Tagen (M = 12,7, SD = 9,69) Tagen getestet. Die Hälfte der Gruppe wurde zunächst mit der Printversion und anschließend mit der digitalen Version getestet, bei der anderen Hälfte wurde das Verfahren umgekehrt.
Eine Untergruppe von 47 Kindern wurde einzeln nach dem zweiten Messzeitpunkt zu den beiden unterschiedlichen Versionen (digital vs. Print) mündlich im Kurzinterview (Dauer M=5:12 min, SD=1:40 min) befragt (u.a. Fragen zur Durchführbarkeit, z.B. „Hattest du Schwierigkeiten?“; Fragen zum Vergleich der beiden Modi, z.B. „Hast du dieses Spiel lieber auf dem Tablet oder mit Papier und Stempeln gespielt?“).

Die Ergebnisse zeigen hohe Korrelationen (r=.83) zwischen den Testmodi und der Wilcoxon-Test bestätigte, dass sich die Scores in der Print- und der digitalen Version nicht signifikant unterschieden (Z=-.97, p=.332). Die Kinder hatten Freude an der Bearbeitung beider Versionen, allerdings präferierten 72% die digitale Version. Dieses Ergebnis stimmt mit anderen Studien überein (Blumenthal & Blumenthal, 2020). Die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Vorteile und Herausforderungen digitaler Diagnostikinstrumente diskutiert.

 
 

*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.