Der Einsatz von digitalen Medien im inklusiven naturwissenschaftlichen Unterricht*

Autor*innen: Lisa Stinken-Rösner & Simone Abels

Abstract

Das Angebot an digitalen Medien für den Unterricht ist in den letzten Jahrzehnten stets gewachsen. Insbesondere für die naturwissenschaftlichen Fächer werden dabei sehr spezifische Angebote wie z.B. Simulationen entwickelt. Durch den Einsatz digitaler Medien soll die Qualität des Fachunterrichts erhöht sowie eine digitale Medienkompetenz auf Seite der Schüler*innen entwickelt werden (KMK, 2016). Diverse Studien haben gezeigt, dass der Einsatz von Simulationen unter anderem dazu beitragen kann das Interesse und die Motivation der Schüler*innen zu steigern, ihr konzeptionelles Verständnis zu verbessern, sowie einen stärkeren und länger anhaltenden Lernzuwachs hervorzurufen (de Jong & von Joolingen, 1998; Baumann et al., 2013; Rutten et al. 2012; Vogel et al., 2006). Zusätzlich ermöglichen Simulationen durch ihre Interaktivität und Anpassungsfähigkeit an individuelle Lernvoraussetzungen eine höhere Partizipation der Schüler*innen im inklusiven Fachunterricht (Blake & Scanlon, 2007).

Ob diese Potenziale jedoch von Lehrkräften erkannt und im Unterrichtsalltag genutzt werden, ist bisher nicht nachgewiesen. Somit ergibt sich folgende Fragestellung:

In welchem Maße nutzen Lehrkräfte digitale Medien und insbesondere Simulationen im (inklusiven) naturwissenschaftlichen Unterrichtsalltag?

Der Einsatz von Simulationen im naturwissenschaftlichen Unterricht wird mit Hilfe eines Fragebogens untersucht. Dieser setzt sich aus vier Abschnitten zusammen: ‚Einsatz von Experimenten und Simulationen‘, ‚Auswahl von Simulationen‘, ‚Demographische Daten‘ und ‚Technische Ressourcen‘, die sowohl geschlossene, als auch offene Aufgabenstellungen enthalten. Alle Aufgabenstellungen wurden zunächst von Expert*innen (n=7), anschließend im Rahmen einer Pilotierung mit Lehramtsstudierenden (n=11) überprüft. Lehrkräfte, die keine Simulationen im Unterricht einsetzen, bearbeiten eine leicht abgewandelte Version, wodurch sich die Stichprobe in zwei Gruppen aufteilt.
Insgesamt haben 76 Lehrkräfte (37 Physik, 27 Chemie, 25 Biologie und 14 Naturwissenschaften) an der Befragung teilgenommen. Die befragten Lehrkräfte verfügen über mittelmäßige bis gute technische Ressourcen.
61% der befragten Lehrkräfte setzen Simulationen im Unterricht ein.

Im Schnitt wird alle vier Unterrichtsstunden eine Simulation zur Erarbeitung und/oder zur Vertiefung von Inhalten eingesetzt. Der Einsatz hängt weder mit dem Alter (M=42.51, SD=9.31, p=.735) oder der Erfahrung (M=12.24, SD=8.03, p=.578) der Lehrkraft, noch mit der Anzahl an Unterrichtsstunden pro Woche (4.20 < M < 8.61, .068 < p < .699) zusammen. Signifikante Unterschiede bezüglich des Einsatzes existieren in Bezug auf das Geschlecht (X^2(1,N=76)=3.916, p=.048*), die Schulform (X^2(6,N=76)=15.759, p=.015*) und das Unterrichtsfach (X^2(4,N=103)=11.928, p=.018).

Wichtigste Gründe für den Einsatz von Simulationen sind die Veranschaulichung nicht sichtbarer Prozesse (26%), die Kompensation von fehlendem, defektem oder gefährlichem Experimentiermaterial (19%) sowie der geringere Aufwand (10%) und die verlässlicheren Ergebnisse (5%) im Vergleich zum Realexperiment.

Die wichtigsten Kriterien bei der Auswahl von Simulationen, beurteilt auf einer 4-stufigen Likert-Skala, sind die fachliche Korrektheit (M=3.9, SD=0.4), eine kostenlose Nutzungsmöglichkeit (M=3.6, SD=0.6) sowie die Nutzung von angemessener Fachsprache (M=3.5, SD=0.6). Von geringer Bedeutung ist hingegen die Berücksichtigung kultureller Vielfalt (M=2.1, SD=1.0), eine gendersensible Sprache (M=2.0, SD=0.9) oder die Möglichkeit zwischen verschiedenen Sprachen zu wählen (M=2.0, SD=0.8). Bei knapp der Hälfte aller Kriterien stellen Lehrkräfte, die keine Simulationen einsetzen, signifikant höhere Ansprüche an Simulationen (.000 < p < .021). Insbesondere Kriterien, die bei einer diversen Schüler*innengruppe von Bedeutung sind, sind für Lehrkräfte, die an der Sekundarstufe I tätig sind, von größerer Bedeutung.

Gut die Hälfte der befragten Lehrkräfte setzt bereits Simulationen im Unterricht ein. Im Unterrichtsalltag überwiegen jedoch pragmatische Gründe bei der Auswahl und dem Einsatz von Simulationen. Ihr Potential für den inklusiven Unterricht wird nur von einem Teil der Lehrkräfte erkannt und nur in Einzelfällen genutzt. Die aktuelle Herausforderung besteht darin (angehende) Lehrkräfte so zu schulen, dass sie neben pragmatischen Gründen auch die Potentiale von Simulationen, wie z.B. Partizipation und Individualisierung, für den inklusiven Unterricht anhand konkreter Anwendungsbeispiele erkennen und bestmöglich nutzen können.

*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.