Abstract
Theoretischer Hintergrund
Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen sind eine zentrale Kompetenz und eine bedeutsame Ressource von Lehrkräften. Sie können einem erhöhten Belastungserleben entgegenwirken (Fives, Hamman, & Olivarez, 2007) und das Aneignen von Professionswissen im Studium begünstigen (Schulte, Bögeholz, & Watermann, 2008). Für die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserwartungen in der Lehrkräftebildung gelten erfolgreiche eigene Praxiserfahrungen als besonders bedeutsam Allerdings werden Praxisphasen nicht nur als Bereicherung wahrgenommen, sondern können auch als Belastung erlebt werden (Holtz, 2014). Wie sich Selbstwirksamkeit und Belastungserleben von Studierenden entwickelt, wenn Praxiserfahrungen in der Lehrkräftebildung fehlen, ist insbesondere im Kontext der COVID-19-bedingten Online-Lehre an Universitäten eine bedeutsame Frage. Zahlreiche Studien befassen sich aktuell mit den Auswirkungen des COVID-19-bedingten Fernunterrichts auf Schülerinnen und Schülern (Günther et al., 2020; Huber & Helm, 2020; Steinmayr, Lazarides, Weidinger, & Christiansen, 2020). Allerdings existieren bisher wenige Studien, die sich mit der Bedeutung der COVID-19-bedingten Online-Lehre im Hochschulbereich befassen (z.B. Scull, Phillips, Sharma, & Garnier, 2020). Die vorliegende Untersuchung geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, wie sich Selbstwirksamkeitserwartungen und Belastungserleben in der Lehrkräftebildung im Semesterverlauf verändern und welche Unterschiede dabei zwischen der Online-Lehre während der COVID-19-Pandemie und der Präsenzlehre mit schulpraktischem Anteil bestehen.
Fragestellungen
Im vorliegenden Beitrag untersuchen wir, wie sich Selbstwirksamkeitserwartungen und Belastungserleben von Lehramtsstudierenden im Semesterverlauf verändern und inwiefern diese Veränderung im Präsenzsemester mit Praxisanteilen und im COVID-19-bedingten Online-Semester differentiell verläuft.
Methode
Unsere Studie basiert auf Daten von N = 240 Lehramtsstudierenden, die an einer längsschnittlichen Fragebogenstudie mit quasi-experimentellem Design teilnahmen (n = 127 Online-Semester; n = 113 Präsenzsemester). Die Selbstwirksamkeitserwartungen der Studierenden – im Umgang mit Instruktionsstrategien, im Klassenmanagement und im Schülerengagement – wurden zu Semesterbeginn und zu Semesterende mit der validierten deutschsprachigen Version (Pfitzner-Eden et al., 2014) der Selbstwirksamkeitsskalen von Tschannen et al. (2001) erhoben. Zudem erfassten wir Reflexionsbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen mit der Skala von Fraij (2018). Das Belastungserleben der Studierenden wurde mit der Studierendenversion des Maslach-Burnout-Inventorys gemessen (Schaufeli, Martinez, Pinto, Salanova, & Bakker, 2002). Gruppenunterschiede in der Veränderung der Selbstwirksamkeitserwartungen und des Belastungserlebens wurden mittels multivariater Varianzanalysen untersucht (Innersubjektfaktor Zeit; Zwischensubjektfaktor Gruppenzugehörigkeit/Online- vs. Präsenzsemester).
Ergebnisse
Während Selbstwirksamkeitserwartungen im Klassenmanagement, im Schülerengagement und Reflexionsbezogene Selbstwirksamkeitserwartungen im Präsenzsemester mit Praxisanteilen anstieg, blieben diese Merkmale im Online-Semester stabil bzw. sanken im Falle der Selbstwirksamkeit für Schülerengagement sogar ab. Keine Unterschiede zeigten sich zwischen dem Präsenz- und Online-Semester in den Veränderungen des Belastungserlebens, das im Falle der emotionalen Erschöpfung in beiden Gruppen anstieg. Für die übrigen Subskalen fanden sich keine bedeutsamen Effekte der Zeit oder der Gruppe.
Relevanz
Angesichts der COVID-19-bedingten Umstellung der Lehrkräftebildung auf Online-Formate in den vergangenen Monaten sind empirische Ergebnisse zur Entwicklung der professionellen Kompetenzen von Lehramtsstudierenden im Rahmen dieser Veranstaltungsformate von großer Relevanz. Unsere Untersuchung liefert erste Hinweise, dass sich insbesondere Selbstwirksamkeitserwartungen im Klassenmanagement, im Engagement für Schüler*innen und Reflexionsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen in Veranstaltungen im Präsenzformat mit Praxisanteilen besser fördern lassen als in Online-Seminaren ohne Praxisanteile. Wir diskutieren, welche Implikationen unsere Ergebnisse für die Weiterentwicklung von Online-Formaten in der Lehrkräftebildung nahelegen.
*Dieser Beitrag wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.