Abstract
Lärm an Schulen kann bei Lehrkräften zu Beeinträchtigungen des psychischen Erlebens und des Arbeitsverhaltens führen. In einer experimentellen Studie sollte unter kontrollierten Bedingungen überprüft werden, ob sich Schülerlärm auf das Stresserleben, die Konzentrations-, Korrektur- und Beurteilungsleistung von Lehramtsstudierenden auswirkt. Über Lärm weiß man, dass er eine hohe Anforderung der Umwelt darstellt, auf die Individuen subjektiv und objektiv reagieren (Goines & Hagler, 2007). Dem transaktionalen Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1989) zufolge haben zwei Bewertungsprozesse maßgeblichen Einfluss auf die subjektive Reaktion. Die Bewertung der Anforderung als Bedrohung oder Schädigung führt in Kombination mit der Bewertung unzureichend vorhandener Bewältigungskapazitäten zu erhöhtem Stresserleben. Dabei werden vor allem aversive, langandauernde und nicht vollständig kontrollierbare Anforderungen, wie kontinuierlicher Lärm, als Stress erlebt (Greif, 1991, S. 13). Tatsächlich führt Lärm bei Lehrkräften zu mehr Stresssymptomen (Enmarker & Boman, 2004). Mangelnde Bewältigungskapazitäten können sich darüber hinaus negativ auf das Sozialverhalten auswirken (Cohen, 1980). Beispielsweise beurteilten „ausgebrannte“ Lehrkräfte unangemessenes Schülerverhalten schwerwiegender (Kokkinos, Panayiotou, & Davazoglou, 2005). Die objektive Reaktion auf Lärm kann durch die Maximal-Adaptability-Theorie (Hancock & Warm, 2003) erklärt werden. Dieser Theorie nach gibt es bei der Bewältigung von Anforderungen optimale Leistungsgrenzen. Bei zu hohen, aber auch zu niedrigen Anforderungen (z.B. Intensität, Dauer des Lärms, Aufgabenkomplexität) kommt es zu einem Leistungsabfall. Beispielsweise erzielten Lehrkräfte nach lauten Schulstunden schlechtere Testleistungen (Arezes, Barbosa, & Miguel, 2010). Auf Grundlage des transaktionalen Stressmodells wurde vorhergesagt, dass kontinuierlicher Lärm durch entsprechende Bewertungsprozesse zu einem Anstieg des Stresserlebens führt. Darüber hinaus sollte sich Lärm durch mangelnde Bewältigungskapazitäten negativ auf die Beurteilung von unangemessenem Schülerverhalten auswirken. Aus der Maximal-Adaptability-Theorie wurde abgeleitet, dass Lärm sich aufgrund der untypischen und damit erhöhten Anforderungen des Konzentrationstests d2 negativ auf die Konzentrationsleistung auswirkt. Zudem wurde vorhergesagt, dass Lärm aufgrund der gewohnten und damit nicht überhöhten Anforderungen bei der Berichtigung eines Diktats die Korrekturleistung nicht senkt oder sie sogar verbessert.
An der Untersuchung nahmen 74 Lehramtsstudierende teil, die den Aufmerksamkeits-Belastungs-Test d2 (Brickenkamp, 2002) zu bearbeiten, ein Deutschdiktat (Birkel, 2009) zu korrigieren und die Schwere unangemessenen Schülerverhaltens (Kokkinos, Panayiotou & Davazoglou, 2004) zu beurteilen hatten. Stresserleben (Jacobs, 2014) wurde nach Bearbeitung des d2 sowie nach Beurteilung des Schülerverhaltens gemessen. Die Probanden waren zufällig auf drei Versuchsbedingungen aufgeteilt: In der Bedingung kontinuierlicher Lärm (n=23) hörten sie während der Bearbeitung des d2, der Korrektur des Diktats und der Beurteilung von unangemessenem Schülerverhalten Lärm mit einer Lautstärke von 80 db, wie er in Pausen auftreten kann. In der Bedingung kurzer Lärm (n=24) hörten die Studierenden den Pausenlärm nur während des d2-Tests. In der Kontrollbedingung kein Lärm (n=27) konnten sie von Geräuschen unbeeinträchtigt arbeiten. Unterschiede zeigten sich sowohl beim subjektiven Erleben als auch bei den objektiven Leistungsdaten. Ein t-Test für abhängige Stichproben ergab unter kontinuierlichem Lärm einen signifikanten Anstieg des Stresserlebens vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt. Hypothesenkonform zeigten geplante Kontraste im Rahmen einer Varianzanalyse, dass bei kontinuierlichem Lärm unangemessenes Schülerverhalten schwerwiegender beurteilt wurde als bei keinem Lärm und kurzem Lärm.
Ein t-Test für unabhängige Stichproben zeigte entgegen der Erwartung zwischen den Gruppen Lärm und kein Lärm keinen signifikanten Unterschied bei der Konzentrationsleistung im d2. Hypothesenkonform zeigten geplante Kontraste im Rahmen einer multiplen Varianzanalyse jedoch, dass bei kontinuierlichem Lärm weniger Fehler übersehen, mehr vorhandene Fehler entdeckt und insgesamt eine bessere Korrekturleistung erzielt wurde als bei keinem Lärm. Wie vorhergesagt führt Pausenlärm zu einer Zunahme des Stresserlebens, zu einer schwerwiegenderen Beurteilung von unangemessenem Schülerverhalten und zu einer verbesserten Korrekturleistung. Gegenteilig zur Vorhersage wirkt sich Lärm jedoch nicht negativ auf die Konzentrationsleistung im d2 aus. Grund dafür mag sein, dass der nur kurz vorhandene Lärm keinen zusätzlich bedeutsamen Einfluss auf die an sich untypische, aber zeitlich limitierte Aufgabe nimmt.
*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.