Attributionen verschiedener schulischer Beratungsanlässe: Intraindividuelle Unterschiede und deren Relevanz für die Einstellungen zur schulischen Beratung bei Lehramtsstudierenden*

Autor*innen: Sonja Seiderer, Stefanie Schnebel & Robert Grassinger

Abstract

Schulische Beratung ist eine zentrale Aufgabe von Lehrkräften (KMK 2004) und durch eine Vielfalt an Beratungsanlässen gekennzeichnet (Hertel & Schmitz, 2010). Zu den häufigsten Beratungsanlässen zählen Lern- und Leistungsprobleme, soziale Probleme sowie affektiv-motivationale Probleme (Wagner, 2018). Schnebel (2017) attestiert einen gestiegenen Bedarf an schulischer Beratung, was die Relevanz dieser Aufgabe für Lehrkräfte unterstreicht. Entsprechend wird Beratungskompetenz als ein Kompetenzbereich professionellen Lehrerhandelns von Lehrkräften betrachtet (Baumert & Kunter, 2006). Gerich, Bruder, Hertel, Trittel und Schmitz (2015) bündeln in ihrem Modell vielfältige Fertigkeiten, die die Beratungskompetenz von Lehrkräften charakterisiert. Im Detail unterscheiden die Autorinnen und der Autor folgende vier Facetten: (1) Diagnostische Kompetenz, (2) Kommunikationskompetenz im Sinne einer Gesprächsführungskompetenz, (3) Problemlösekompetenz und (4) Bewältigungskompetenz im Sinne einer Kritikfähigkeit und dem Umgang mit schwierigen Situationen (vgl. Gerich, Bruder, Hertel, Trittel & Schmitz 2015). Mit Blick auf diagnostische Kompetenzen betonen Klug et al. (2012, 2013), dass diese grundlegend und bedeutsam für eine gelingende Beratung sind.

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht die diagnostische Kompetenz, die sich nach Klug et al. (2013) u.a. darin äußert, in der präaktionalen Phase Vorhersagen darüber zu treffen, worin Ursachen eines Problems/Beratungsanlasses liegen könnten – mit anderen Worten den Anlassattributionen auf Seiten der beratenden Lehrkraft. Untersucht wird, (1) inwiefern bei Studienanfänger(inne)n im Lehramt die Lokation, Stabilität und Kontrollierbarkeit der Anlassattributionen zwischen verschiedenen Beratungsanlässen intraindividuell variieren und inwiefern hierbei interindividuelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen Studierender verschiedener Schularten zu attestieren sind. Erkenntnisse darüber erscheinen inhaltlich bedeutsam, da diese in Anlehnung an Weiners (1985) Attributionstheorie die Erfolgserwartung einer Beratung zu spezifischen Anlässen begünstigen sollten. Mit Blick auf die Lehrerbildung sind Erkenntnisse in diesem Bereich relevant, um zu verstehen, wie angehende Lehrkräfte auf Basis subjektiver Theorien typische Beratungsanlässe attribuieren. (2) Darüber hinaus wird betrachtet, wie positiv und bedeutsam Studienanfänger(innen) im Lehramt schulische Beratung einschätzen und inwiefern diese Einschätzung mit den Anlassattributionen assoziiert ist.

Um die Forschungsfragen zu überprüfen wurden 143 Lehramtsstudierende verschiedener Schularten (Alter: M = 21,25, SD = 3,214, 111 weiblich, 41,3% GS/HS, 18,9% RS, 57% Gym) im ersten Semester bezüglich ihrer Anlassattributionen zu Leistungsproblemen, Leistungsangst und Mobbing befragt. Diese Beratungsanlässe wurden mit Hilfe verschiedener Fall-Vignetten verdeutlicht. Die Operationalisierung der Anlassattributionen erfolgte in Anlehnung an McAuley, Duncan und Russell (1992). Die Reliabilitäten lagen zwischen α = .62 und α = 91. Der Frage nach intraindividuellen Unterschieden in den Anlassattributionen sowie nach Unterschieden zwischen den Geschlechtern hierbei wurde varianzanalytisch nachgegangen. Die Annahme der Zusammenhänge der Anlassattributionen mit einer positiven Einstellung zur anlassbezogenen Beratung wurde mit einem Strukturgleichungsmodell geprüft, in dem die anlasspezifischen Einstellungen zur schulischen Beratung regressiert waren auf die jeweiligen Anlassattributionen.
In Bezug auf die erste Fragestellung ließen sich signifikante Unterschiede in den Anlassattributionen. So führten Studienanfänger(innen) im Lehramt Probleme im Leistungsverhalten von Schülerinnen und Schülern auf Ursachen zurück, die weniger zeitlich stabil sind als Ursachen für Mobbing und Leistungsangst (F(2) = 64.40, p < .001). Die Ursachen für Mobbing werden im Vergleich zu den anderen Anlässen als bedeutend weniger internal wahrgenommen (F(2) = 75.71, p < .001), sondern vielmehr external (F(2) = 102,14, p < .001). Systematische Unterschiede sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen Lehramtsstudierenden verschiedener Schularten ergaben sich nicht (F(1) ϵ [0.00; 4.7], p > .05) Im Strukturgleichungsmodell (X2 = 500, df = 357; CFI = .937, TLI = .923, RMSEA = .053) zeigte sich, dass Studienanfänger(innen) im Lehramt die Möglichkeit einer Beratung für Schülerinnen und Schüler bei Mobbing und Prüfungsangst umso mehr schätzen, je externaler die Ursachen hierfür attribuiert werden.

*Dieses Poster wurde im Rahmen des digitalen Jahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (digiGEBF21) eingereicht und ist bis zum 31.12.2022 an dieser Stelle verfügbar. Alle Rechte liegen bei den Verfasser*innen.